125 Jahre Werder Bremen: Das Bremer Erfolgsmodell in der Sportmedizin

Frau Kristina Wiede, Redakteurin des Stadtmagazins, führte für den Weser Kurier folgendes Interview mit Dr. Götz Dimanski:

  1. 125 Jahre SV Werder Bremen. Einmal historisch betrachtet: Welchen Stellenwert hat die medizinische Versorgung im Profifußball für den Erfolg einer Mannschaft?

Die Sportmedizin ist im Profifußball aus meiner Sicht früher wie heute einer von vier ganz entscheidenden Leistungsfaktoren. Diese sind Ökonomie, Personalpolitik, Trainingsmethodik und eben die Sportmedizin. Sorgt ein Verein für eine exzellente Struktur in der sportmedizinischen Betreuung kann das im Laufe einer Saison 3 bis 6 Punkte für eine Mannschaft bedeuten, die man zusätzlich verbuchen kann oder eben verliert. Davon bin ich zutiefst überzeugt.

  1. Mit der Errichtung des Sporthep Werder direkt im Weserstadion leistete der damalige Vereinspräsident Dr. Franz Böhmert 1990 Pionierarbeit. Was war seine Vision?

Dr. Franz Böhmert war als Anästhesist und ärztlicher Direktor des Zentralkrankenhauses Links der Weser (heute Klinikum Links der Weser) ein in Bremen bedeutender Arzt und ebenso ein deutschlandweit renommierter Funktionär des Fußballs. In dieser Doppelfunktion hat er für den SV Werder Bremen, auch historisch gesehen, Großartiges geleistet. Ich kann das insbesondere für den Bereich der Sportmedizin beurteilen, weil ich weiß, dass seine Vision einer orthopädischen Sportrehabilitation zur damaligen Zeit revolutionär war. Das hat dem Verein damals in herausragender Weise in mehrfacher Hinsicht genutzt.

  1. Was war die Triebfeder für sein Engagement?

Dr. Franz Böhmert hatte als Arzt beobachtet, wie erfolgreich die von Dr. Peter Hirschfeld und seiner mit ihm arbeitenden Physiotherapeutin Elisabeth Longton, die aus London gekommen war, praktizierte Methode der Orthopädischen Medizin von Cyriax funktionierte. Es wurden ab 1961 in der Abteilung für klinische Physiotherapie des Zentralkrankenhauses St. Jürgenstraße (heute Klinikum Bremen Mitte) so unglaubliche therapeutische Erfolge erzielt, dass Dr. Böhmert diese Methodik unbedingt für die Fußballer des SV Werder Bremen nutzen wollte.

  1. Auf welche Weise ist ihm das gelungen?

Als die Abteilung für klinische Physiotherapie unter Leitung von Dr. Peter Hirschfeld im Jahre 1986 geschlossen werden sollte, sorgte Dr. Böhmert als Präsident des SV Werder Bremen dafür, dass diese Abteilung in ein privates Institut überführt werden konnte, das ab diesem Zeitpunkt durch den SV Werder als Eigentümer unter dem Namen „Sporthep Werder“ weitergeführt wurde.

  1. Was war der besondere Vorteil dieses orthopädischen Rehabilitationszentrums?

Der besondere Vorteil war, dass zum einen die erfolgreiche Cyriax-Methodik weitergeführt werden konnte und zum anderen, dass diese den Fußballspielern zur Verfügung stand. Aber auch alle anderen Bremer Patienten, die unter Beschwerden des Bewegungsapparates litten, konnten dieses Rehabilitationszentrum des SV Werder Bremen nutzen. Die gesetzlichen Bremer Krankenkassen, insbesondere die AOK, hatten über ihre guten Kontakte zum damaligen Werderpräsidium den riesigen Vorteil für ihre Versicherten erkannt und besondere Zugangsmöglichkeiten zur Behandlung im Sporthep ermöglicht. Ein weiterer zukunftsweisender Vorteil des Sportheps für Werder war, dass junge Physiotherapeuten unter Anleitung der erfahrenen leitenden Physiotherapeutin Elisabeth Longton und Dr. Hirschfeld zu exzellenten Physiotherapeuten ausgebildet werden konnten, die dann wiederum im Nachwuchsbereich des SV Werder Bremen tätig werden konnten und bei entsprechender Entwicklung auch in die Profiabteilung übernommen werden konnten. Viele hervorragende physiotherapeutische Karrieren nahmen ihren Anfang im damaligen Sporthep Werder.

  1. Was war die methodische Besonderheit dieses orthopädischen Rehabilitationszentrums im Weserstadion?

Zum einen basierte die Methodik auf der von Professor James Henry Cyriax in London entwickelten nichtoperativen Orthopädischen Medizin, zum anderen gab es hier die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Physiotherapeuten und Sporttherapeuten in einer fantastischen Infrastruktur, die nicht nur physiotherapeutische Behandlungseinheiten, Arztpraxen mit ambulanten OP-Einheiten und Trainingsräume mit modernsten Geräten und Räume für Gruppentherapien beinhaltete, sondern auch ein tolles Bewegungsbad hatte. In Summe über 1500 m² effektiv genutzter Fläche. Die Bremer Patienten haben dieses Angebot sehr gern angenommen, sodass alle Beteiligten (Therapeuten, Ärzte, Patienten und Krankenkassen) hochzufrieden waren. Und das war der SV Werder als Eigentümer natürlich, insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht, damals auch.

  1. Sie übernahmen 1991 die Leitung des Sporthep. Wie war Ihr Team damals aufgestellt?

Als ich 1991 die ärztliche Leitung des Sportheps übernahm, war ich der erste ärztliche Leiter. Wir hatten damals etwa 25 Mitarbeiter. Als sich das Sporthep im Jahre 2009 wegen einer nach dem Tod von Dr. Böhmert geänderten Vereinspolitik eine andere Bleibe suchen musste, waren wir über 50 Mitarbeiter und hatten zwei Tochterfirmen gegründet. Eine, die sich ausschließlich mit präventivem Training befasste und wirtschaftlich auch hervorragend lief, und die andere, die heute noch am Standort Links der Weser sehr aktiv ist. Letztere ist das ambulante RehaZentrum Bremen mit einer Therapiefläche von über 3000 Quadratmetern und über 100 Mitarbeitern. Hier werden nicht nur orthopädische Patienten erfolgreich rehabilitiert, sondern auch Patienten nach Operationen am Herzen. Nach den Qualitätsstandards der Deutschen Rentenversicherung gehören wir nach externer Überprüfung mit diesem RehaZentrum Bremen auch aktuell zu den „Top Ten“ in ganz Deutschland. Das alles geht, wenn man es historisch betrachtet, auf die visionäre Initiative des ehemaligen Werder-Präsidenten Dr. Franz Böhmert zurück.

  1. Während der benannten Erfolgsjahre von Werder war die Mannschaft überdurchschnittlich fit. Wie haben Sie und Ihr Team das geschafft?

Als wir im Jahr 2004 Deutscher Meister wurden, fand der Deutsche Ärztetag in Bremen statt. Der damalige Bundespräsident, Johannes Rau, hat in seiner Eröffnungsrede ganz explizit den Mannschaftsarzt des SV Werder Bremen, der ich damals war, erwähnt und ihm zu dieser Meisterschaft gratuliert. Das fand ich damals natürlich insbesondere sehr politisch korrekt. Die medizinische Betreuung wäre jedoch in gleicher Weise von mir und meinem Team durchgeführt worden, wenn wir sportlich nicht so erfolgreich gewesen wären. Oder, um es anders zu formulieren: Eine ausgezeichnete Sportmedizin reicht nicht aus, um Meister zu werden, jedoch kann man ohne eine ausgezeichnete Sportmedizin definitiv nicht Meister werden. Das steht für mich fest.

  1. Mussten Sie Spieler überzeugen, eine Verletzung auszukurieren?

Zu einer funktionierenden Sportmedizin gehört es auch immer, den verletzten Sportler psychologisch gut durch die Verletzungszeit zu führen. Hier spielt das Vertrauen eine große Rolle. Insbesondere das Vertrauen, das der Sportmedizin grundsätzlich von den Führungskräften eines Vereins entgegengebracht wird. Wenn eine Führung die Bedeutung der Sportmedizin kennt und anerkannt hat, gibt es bezüglich der professionellen Arbeitsteilung keinerlei Probleme. Dann ziehen alle an einem Strang. Dann findet ein fachlicher und sachlicher Austausch statt, eine Übergriffigkeit mit Einmischung in die fachlichen Angelegenheiten der jeweils anderen Abteilung scheidet prinzipiell aus. Nur, wenn so gearbeitet wird, wie es zu Zeiten von Otto Rehagel und später dann unter Klaus Allofs und Thomas Schaaf der Fall war, kann eine Sportmedizin ihre Aufgabenstellung tatsächlich souverän umfassend und erfolgreich erfüllen. In jedem anderen Fall wird es der sportlichen Leistung eines Vereins unabwendbar schaden. Der aufmerksame Beobachter wird in der Historie des Vereins die gerade auch in dieser Hinsicht sehr verschiedenen Phasen gut ausmachen können.

  1. Ihr Erfolgsrezept wurde von anderen Clubs adaptiert, mittlerweile sind Rehazentren nach dem früheren Bremer Vorbild Standard. Wie sieht es mit der Fortführung dieser Linie in Bremen aus?

Als das Sporthep damals in den 90er Jahren immer weiter ausgebaut wurde (wir waren 1994 das erste ambulante Rehazentrum bundesweit, das eine ambulante Rehabilitation für Rentenversicherungsträger, die es vorher nur in stationären Kliniken gab, durchführen durfte), kamen von sehr vielen Vereinen Funktionäre und Manager, um sich dieses, damals revolutionäre Konzept anzusehen. Man orientierte sich nicht am Süden, sondern der Norden der Republik, und hier ganz besonders Bremen, war das Ziel des Interesses. Ohne unbescheiden zu sein, kann ich sagen, dass die Ideen von Dr. Franz Böhmert und mir z.B. ganz entscheidend dazu beigetragen haben, das Medicos auf Schalke gemeinsam mit Rudi Assauer und seinem Wirtschaftsberater, Herrn Schnusenberg, zu initiieren und zu gestalten. Der sportmedizinische Weg des SV Werder Bremen führte nach dem Weggang von Klaus Allofs und Thomas Schaaf in eine bemerkenswert andere Richtung auf der Suche nach Erfolg.

  1. Ist Ihre, von Dr. Hirschfeld und Elisabeth Longton übernommene, Art der Medizin heute noch aktuell?

Natürlich entwickelt sich auch die Sportmedizin permanent weiter. Die grundsätzliche Beibehaltung einer konventionellen Basismethodik wie der Manuellen Medizin nach Cyriax ist jedoch keineswegs unmodern. Selbst die rasant voranschreitende Medizintechnik ist nicht in der Lage, beispielsweise Funktionsstörungen aufzuzeigen, die stärkste Schmerzen und Belastbarkeitsdefizite provozieren können, die das Sporttreiben unmöglich machen, im Bild jedoch nicht darstellbar sind. Da bedarf es tatsächlich manueller Fähigkeiten, diese Funktionsstörungen zu diagnostizieren und dann auch erfolgreich zu behandeln. Sportler, die auf derartige Methoden Zugriff haben, brauchen sich vor unnötig langwierigen Verletzungen, und insbesondere vor vermeidbaren Rezidiven, z.B. im muskulären Bereich, wirklich nicht zu fürchten. Mit unserer Akademie für Manuelle Medizin nach Cyriax bieten wir jungen interessierten Ärzten jetzt wieder die Möglichkeit in Bremen, diese Methodik gründlich zu erlernen. Und sollten dann eines Tages tatsächlich bei uns ausgebildete Sportmediziner wieder Fußballer des SV Werder Bremen erstklassig betreuen, würde sich ein Kreis schließen, der wahrlich historisch zu nennen wäre…

  1. Ist es das, was Sie dem Jubilar zum 125. Geburtstag wünschen?

Auf jeden Fall, denn das ist es ja, was ich eingangs sagte. Es ist aus meiner Sicht ein wesentlicher Baustein in der Leistungsstruktur eines nach höchstem Erfolg strebenden Sportvereins. Und ich denke, dass ich das mit den meisten in Bremen lebenden Menschen gemeinsam habe. Wir alle wünschen uns einen leistungsstarken und vor allem gesunden SV Werder. Das ist es, was ich dem Verein von Herzen wünsche.

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